AUF AUGENHÖHE MIT DEM INNEREN SCHWEINEHUND

Disziplin gilt heutzutage als eine erstrebenswerte Tugend. In der Forschung ging man lange davon aus, dass Menschen mit hoher Selbstkontrolle erfolgreicher sind. Es besteht also die Annahme, dass es Anstrengung braucht, um augenblickliche Impulse auszubremsen. Laut einer Studie der Universität Hamburg wünschen sich zwei Drittel der Befragten mehr Selbstkontrolle, um bestimmte Ziele zu erreichen, denn sie glauben, dass die vielen Versuchungen sie permanent aushebeln.

Umgangssprachlich nennt man diese Kraft, die in uns wirkt, den „inneren Schweinehund“. Der macht sich immer dann bemerkbar, wenn wir nicht wirklich Lust auf etwas haben, z.B. gesündere Ernährung, mehr Bewegung oder das lästige Aufräumen der Wohnung. Dies führt zum festen Glauben, dass er nur mit großer Anstrengung bezwungen werden kann.

Aktuelle Studien zeigen allerdings, dass die Macht der Selbstkontrolle etwas überschätzt wird. Es gehe vielmehr darum, das erwünschte Verhalten fest in den Alltag zu integrieren. Dinge, die man also nicht so gerne macht und die „Kraftanstrengung“ benötigen, können demnach durch zeitliche und automatisierte Strukturen etabliert werden. Das koste am Ende des Tages weniger Energie, als die Anstrengung zur Selbstdisziplinierung.

Es geht also mehr darum, mit dem „inneren Schweinehund“ auf „Augenhöhe zu agieren, als sich selbst zu disziplinieren. Hier ein paar Ideen wie das funktionieren könnte.

Eine gute Möglichkeit sind die sogenannten „Wenn–Dann–Pläne“: Die Zauberformel dafür lautet „wenn ich X mache, dann mache ich sofort hinterher oder gleichzeitig Y“. Das können Banalitäten sein, z.B. „wenn ich Zähne putze, dann stelle ich mich dabei auf die Zehenspitzen, um meine Unterschenkel zu trainieren“. Der Clou dieser Technik ist, das gewünschte Verhalten an konkrete, unausweichliche Handlungen oder bereits vorhandene Routinen zu knüpfen.

Kleine Anstupser sollen auch helfen: Der Ökonom Richard Thaler hat den Nobelpreis für sein sogenanntes „Nudging-Konzept“ bekommen. Es ist eine Strategie des Anstupsens: z.B. führte eine aufgemalte Fliege im Pissoir zu 80 Prozent größeren Treffsicherheit. Oder in der Moskauer U-Bahn bekommt man einen Fahrschein kostenlos, wenn man davor 20 Kniebeugen macht. Diese kleinen „externen“ Anreize unterstützen uns in Richtung des gewünschten Verhaltens.

Der Ton macht die Musik: Wie Ziele formuliert werden, hat Einfluss auf den Erfolg. Neujahrsvorsätze halten im Schnitt nur 11,5 Tage. Das liegt u.a. daran, dass sie meist als Vermeidungsziele formuliert sind, z.B. ich möchte weniger Essen. Besser hingegen sind Annäherungs- bzw. Haltungsziele, die auf den Zustand ausgerichtet sind, der angestrebt wird,  z.B. gesunde Ernährung ist Teil meiner Lebensweise. Der Grund liegt darin, dass es positive Emotionen auslöst. Eh eigentlich logisch, wer will schon was umsetzen, das negativ besetzt ist.

Small is beautiful: Anstatt sich auf große und schwer erreichbare Endergebnisse zu versteifen, ist es hilfreicher, klein anzufangen. Ganz klein. Also ganz konkret in kleinen Schritten, die antrainierten Verhaltensweisen, die unser Tun bestimmen, zu durchbrechen und in gute Gewohnheiten umzuwandeln.

Warte, bis der Leidensdruck hoch genug ist: Ist eigentlich die schlechteste Strategie, aber oft sehr effektiv. Man hat nämlich herausgefunden, dass große Verhaltensänderungen häufig mit „einschneidenden“ Ereignissen einhergehen, also z.B. mit schwerer Krankheit, Scheidung oder Jobwechsel. In diesen sogenannten „teachable moments“ werden Gewohnheiten gebrochen. Man muss sich neu orientieren und das eigene Verhalten überdenken.

Einfach sind Verhaltensveränderungen in keinem Fall, denn wir wissen auch, dass Menschen sehr „gewohnheitsbezogen“ sind und das ist ja per se nicht nur schlecht. Es geht einfach darum, die eigenen Strategien für erfolgreiches Verhalten und Handeln immer wieder zu reflektieren und neue Wege auszuprobieren.

Mag. Karin Anna Wenzl; Arbeits- und Organisationspsychologin & HR-Expertin

Weiterführende Literatur:

Faude-Koivisto, T., & Gollowitzer, P. (2009): „Wenn-Dann Pläne: eine effektive Planungsstrategie aus der Motivationspsychologie“. Coachingwissen. Wiesbaden, S. 207-225

Thaler, R., & Sunstein, C. (2009): „Nudge. Wie man kluge Entscheidungen anstößt“. Econ Verlag

Psychologie Heute Compact, Heft 61 (2020): „Die Kunst, sich zu entscheiden“. Beltz Verlag

Das könnte Sie auch interessieren

Ähnliche Themen